Text und Fotos: Pauline Demory
In diesem Beitrag möchte ich den „Job“ des Therapiebegleithundes vorstellen, die von mir speziell geforderten Aufgaben und die dafür angestrebte Ausbildung meines jungen Bergamasco Rüden Hagrid aus der Zucht Luna di Lana von Jutta Ammann (offizieller Name „Geronimo“).
Vorweg sei bemerkt, dass ich hauptberuflich Reittherapeutin bin und somit in erster Linie die Pferde meine Partner im therapeutischen und pädagogischen Geschehen sind. Ich bewerbe und verkaufe keine Therapie mit meinen Hunden und bilde diese darum auch nicht nach offiziellen Standards aus. Dennoch fällt ihnen in meinem Betrieb eine wichtige Nebenrolle zu, die ich nicht missen möchte:
- Als „Eisbrecher“ bei sehr zurückhaltenden Klienten
Viele Menschen, denen aufgrund ihres Störungsbildes der Kontakt zu anderen schwer fällt, haben hingegen kein Problem mit einem Tier in Beziehung zu gehen – und über das Tier kann dann die Brücke zur Therapeutin geschlagen werden. Da die Pferde bei Ankunft der Klienten in der Regel noch in ihrem Auslauf stehen und erst mit mir zusammen aufgesucht werden, kann der Hund im ersten Kontakt für eine entspannte, positive Atmosphäre sorgen und mir eine Tür zum Klienten öffnen.
- Als Begrüßungskomitee für jeden, der den Hof betritt
So viele Vorzüge Pferde auch haben mögen: auch das aufgeschlossenste, freundlichste und fröhlichste unter ihnen wird einem Besucher niemals ein Freudenfest bereiten, als sei dieser das Tollste, was ihm an diesem Tag passiert sei. Eine unvoreingenommene, freudige Begrüßung wie nur ein Hund sie zu veranstalten vermag, kann ein wichtiges Erlebnis für Menschen sein, die wenig Selbstwertgefühl haben oder häufig Ablehnung von anderen erfahren müssen.
- Zur Förderung der Wahrnehmung und des Sozialverhaltens
Die Körpersprache eines Tieres zu verstehen und korrekt darauf zu reagieren ist ein großes Feld der Tiergestützten Therapie. Es beinhaltet die Bereiche der Fremd- und der Eigenwahrnehmung, des Beobachtens, des kognitiven Verstehens und der Empathie. Seine eigenen Bedürfnisse nicht über die des anderen zu stellen und von seinem Gegenüber ein „nein“ zu akzeptieren, aber auch selber „nein“ sagen zu können sind Fähigkeiten, die einem nicht nur in der Haustierhaltung zu Gute kommen.
Der Hund mit seiner geringeren, weniger respekteinflößenden Größe und seinem extrem hohen Aufforderungscharakter, lädt schneller zu Körperkontakt und eventuellen Grenzüberschreitungen ein als das imposantere Pferd. Hier kann der respektvolle Umgang mit (vermeintlich) Schwächeren anschaulich diskutiert und effektiv geübt werden. Allerdings muss er auch noch mehr als das Pferd vor den Klienten geschützt werden, um negative Erfahrungen zu vermeiden.
- Als Begleiter bei Spazierritten
Kein Ausritt ohne Hund! Vor allem Kindergruppen profitieren bei Spazierritten sehr vom Hund: da ja nicht alle gleichzeitig auf dem Pferd sitzen können, gehen ein bis drei von ihnen zu Fuß und wechseln sich ab. Die mit Abstand beliebteste Aufgabe ist es, den Hund an der Leine zu halten. Ein kräftiger, gut trainierter Hund kann mühelos bis zu drei Kinder sicher am Straßenrand entlangführen und nötigenfalls zu mir zurückbringen… (Dies ist natürlich überspitzt dargestellt, aber tatsächlich bietet der gehorsame Hund eine wertvolle Orientierung im Gelände)
- Als Tröster und Vermittler in schwierigen Situationen
Auch bei der größten Umsicht in der Arbeit können Missgeschicke passieren: ein Pferdehuf auf dem Fuß, eine Bauchlandung beim Rennen oder eine fiese Bemerkung von jemand anderem. Was tröstet besser als eine feuchte, haarige Hundenase? Höchstens eine samtweiche Pferdenase.
- Als Unterstützung bei der Bewältigung von Hundeangst
Niemand kommt ausschließlich wegen seiner Hundeangst zu mir, aber die Information, dass ich Hunde in meine Arbeit einbeziehe, hat schon mal die Wahl beeinflusst. Manchmal erfahre ich allerdings erst beim Kennenlernen, dass diese Angst besteht, vor allem bei Kindern, die von Einrichtungen geschickt werden und zu deren Eltern ich keinen Kontakt habe.
Oft handelt es sich um Kinder aus anderen Kulturkreisen, in denen Hunde als Haustiere keine Tradition haben. In den meisten Fällen besiegen wir die Angst in wenigen Reiteinheiten: die selbstbewusstseinsstärkende Wirkung des Reitens, die Vorbildfunktion der Gruppe und meiner selbst, sowie die nebensächliche Selbstverständlichkeit mit der der Hund einfach anwesend ist (hier sind natürlich keine hündischen Freudenpartys angesagt) verhelfen fast immer zu einem positiven Kontakt. Und manchmal wird aus der anfänglichen Angst sogar eine leidenschaftliche Zuneigung!
Um alle diese Aufgaben erfüllen zu können, braucht der Hund eine mehr als solide Grundausbildung. Die wichtigsten Kommandos müssen auch auf Distanz zuverlässig befolgt werden, die Leinenführigkeit muss über jeden Zweifel erhaben sein. Er muss mit den Pferden vertraut sein und sich ihnen gegenüber respektvoll verhalten, darf aber keine Angst vor ihnen haben, denn er muss sich dicht am Pferd führen lassen. Er muss sich auch unter starker Ablenkung auf mich konzentrieren können und eine gute Impulskontrolle lernen.
Er darf keinerlei Aggression dem Menschen gegenüber zeigen, muss aufgeschlossen, neugierig und freundlich sein, muss aber auch lernen sich zurückzunehmen, wenn er grade nicht an der Reihe ist. Er muss sehr geduldig sein und eine vertrauenserweckende Ruhe ausstrahlen, zugleich aber auch bewegungsfreudig und sportlich sein.
Er muss unterschiedliche Bewegungsmuster, Gangbilder und Lautäußerungen von Menschen kennenlernen und muss in der Lage sein mit ambivalentem Verhalten umgehen zu können (der Klassiker: Angst haben wenn der Hund guckt, aber von hintern streicheln wollen). Der begabte Hund entwickelt mit der Zeit ein Gespür dafür, wie er auf welchen Menschen am besten zugehen kann.
Nachdem meine geliebte und begnadet einfühlsame Gipsy (Husky-Schäferhund) im Februar 2018 verstorben war, suchte ich einen Nachfolger, den ich der kleinen Meggi (7,5 Kg Terriermix) an die Seite stellen könnte. War Gipsy noch durch Zufall in ihre Aufgaben hineingewachsen, einfach weil sie es von sich aus anbot, wusste ich diesmal genau worauf es mir ankam und da ich im Tierschutz nicht fündig wurde, erwog ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Rassehund vom Züchter zu kaufen.
Hütehunde interessierten mich schon seit geraumer Zeit, da sie in der Regel ein freundliches Wesen mit Intelligenz und Leistungsbereitschaft verbinden. Zögern ließ mich allerdings der häufig zu stark ausgeprägte Trieb von Border und Co, der diese Hunde für den Hausgebrauch sehr anspruchsvoll macht und die Tiere bei falscher Auslastung nervös und überkandidelt werden lässt.
Durch einen Bekannten hörte ich dann zum ersten Mal vom Bergamasco.
Niemals, sagte ich. Viel zu viel Fell.
Drei Monate später zog Hagrid bei uns ein.
Ob alle erstklassigen Eigenschaften, die der Rasse nachgesagt werden, auch auf ihn zutreffen, wird sich herausstellen; zurzeit ist er ja erst acht Monate alt. Allerdings finde ich seine Entwicklung äußerst vielversprechend: er zeigt sich sehr lernwillig und kooperativ, ist unglaublich freundlich und aufgeschlossen, wenn auch manchmal noch etwas vorsichtig, stets gut gelaunt und dabei sehr sensibel. Sein Äußeres ist ansprechend und nicht negativ belastet (Rottweiler- und Pitbullbesitzer werden wissen, was ich meine), das Fell in seiner eigenwilligen Struktur, lädt zum Anfassen und Kuscheln ein.
Hagrid begleitet schon jetzt täglich ein bis zwei Therapieeinheiten – und lässt sich nur äußerst ungern ins Haus schicken, wenn er sieht dass noch Betrieb auf dem Hof ist. Er läuft gut am Pferd mit (Hauptgangart Schritt) und wenn er auch diesen großen Tieren noch nicht so ganz traut, kommt er schon dicht genug heran, dass man ihn vom Sattel aus anleinen oder ihm ein Leckerli reichen kann (akrobatische Nummer meinerseits…). An der Leine läuft er sehr manierlich und im Freilauf klappen die Grundkommandos schon gut, solange keine zu starke Ablenkung auf ihn einwirkt. Er respektiert die Grenzen des (uneingezäunten) Hofgeländes und hält sich meistens in meiner Nähe auf. Kleineren und lebhafteren Kindern gegenüber zeigt er sich noch unsicher, aber mit etwas Rückendeckung von mir siegt stets die Neugier. „Seine“ Reitkinder erkennt und begrüßt er bereits zuverlässig, die Erwachsenen sowieso.
Wichtig ist, dass der Hund stets die Möglichkeit des Rückzugs hat und niemals gegen seinen Willen bedrängt wird. Er bestimmt selbst, wann und wieviel Kontakt er zum Menschen haben will; er wird von den Klienten weder gerufen noch angelockt, geschweige denn dass hinter ihm hergelaufen wird. An Kinder, die zu Regelverletzungen und Grenzen-austesten neigen, lasse ich den jungen, unerfahrenen Hagrid noch nicht.
Wertvoll ist die Anwesenheit der kleinen Meggi, die mit den Jahren vom Wildfang zu einem sehr souveränen Hund mutiert ist. Von ihr schaut sich Hagrid sehr viel an Verhalten und Gehorsam ab, was mir die Arbeit natürlich erleichtert.
Vielleicht ist es noch zu früh ein Fazit zu ziehen, doch ich bin überzeugt, den idealen Hund gefunden zu haben – für mich privat und für meine Arbeit in der Therapie.